Der Tagesspiegel, 5.11.2019
Von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die 1980er Jahre war das Jahrhundertverbrechen der Schoah in der Geschichtswissenschaft eher ein Nischenthema. Erst vor drei Jahrzehnten entwickelte sich eine breit angelegte und international vernetzte Holocaustforschung. Heute gehört die von Nazideutschland ausgehende Vernichtung der europäischen Juden zu den am meisten beforschten Geschehnissen der Menschheitsgeschichte. Und doch gibt es nach wie vor Desiderate, dunkle Bereiche, die es auszuleuchten gelte, sagt Frank Bajohr, Leiter des Zentrums für Holocauststudien am Institut für Zeitgeschichte (IfZ) mit Sitz in München und Berlin.
Ausgelotet werden sie traditionell auf dem seit 1989 in den USA veranstalteten Fachkongress „Lessons and Legacies of the Holocaust“, auf dem die internationale Forschungsszene zusammenkommt. In diesem Jahr findet die Veranstaltungsreihe zu den Lehren und Vermächtnissen der Judenvernichtung erstmals in Europa statt. Vom 4. bis zum 7. November treffen sich in München, organisiert vom IfZ, rund 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, um in 36 Panels und elf Workshops Erkenntnisse zu teilen und Probleme zu erörtern. Dem bisher größten Fachkongress, der je zur Schoah in Europa stattgefunden hat, komme dabei eine Brückenfunktion im internationalen Forschungsdreieck Nordamerika–Europa–Israel zu, sagt Mitorganisator Bajohr...