Der Tagesspiegel, 26.2.2020
Der Sündenfall von Erfurt, in dessen Verlauf die von Björn Höcke geführte AfD-Fraktion dem FDP-Mann Thomas Kemmerich zu seiner kurzen Amtszeit als Thüringer Ministerpräsident verhalf, ist in mehrfacher Hinsicht lehrreich. Zunächst offenbart der Skandal noch deutlicher als bislang das ungeklärte Verhältnis von Teilen des bürgerlichen Lagers zum Rechtsextremismus – und wirft damit ein Schlaglicht auf offene Flanken der parlamentarischen Demokratie.
Die sich überschlagenden Ereignisse im Nachklapp des Tabubruchs, besonders aber der bei allem Rumlavieren doch recht unverzügliche Abgang Thomas Kemmerichs, weisen aber noch auf etwas anderes hin: Wie unterm Brennglas zeigt sich der veränderte Rahmen, in den Politik und Politikrezeption im digitalen Zeitalter eingefasst sind.
Hätte die Nachricht von Thüringen-Gate ohne das Empörungsgewitter in den sozialen Netzwerken und die darauf folgende Entladung auf der Straße eine irgendwie vergleichbare Wirkung entfaltet? Klar ist jedenfalls: Die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, denen die Demokratie unter den Bedingungen der Digitalisierung unterworfen ist, sind grundstürzend. Zweifellos geht mit der Digitalität ein neues politisches Zeitalter einher. Wie aber sehen dessen Merkmale aus? Und was sagt die sozialwissenschaftliche Forschung zum digitalen Strukturwandel der öffentlichen Sphäre?...