tip, 11.2.2015
Politische Dokumentation kann man auf verschiedene Weisen betreiben. Als reine Beobachtung ohne klare Hypothese: Man fängt ein Spektrum von Meinungen ein, die Aussagen stehen kommentarlos für sich selbst. Oder als bewusste Intervention mit harter normativer Kante: Man formt schon im Vorfeld eine Hypothese und wählt das empirische Material derart aus, dass die eigene Haltung bestätigt wird. Beides ist legitim, je nach Thema ist einmal ausgewogene Darstellung, ein andermal scharfe Polemik geboten.
Der Film „Wem gehört die Stadt? – Bürger in Bewegung“ von Anna Ditges verfährt nach dem Beobachtungsprinzip. Die Dokumentation im eigentlichen Wortsinn versammelt Stimmen von Menschen, die in irgendeiner Weise mit der geplanten Veräußerung des großen Helios-Geländes in Köln-Mühlheim zu tun haben.
Da sind die Investoren, die ohne Rücksicht auf die soziokulturellen Eigenheiten des Bezirks ein gesichtsloses Einkaufszentrum planen. Dann die Bewohner des Viertels, die eine Bürgerbewegung gründen und mit eigenen Ideen zur Nutzung der Brache gegen diese allein an Profit orientierten Pläne und die anstehende Gentrifizierung kämpfen. Und schließlich die von A nach B lavierenden Politiker – hier vor allem ein Lokalmatador mit breitem rheinischen Dialekt, der sich als Mann des Volkes versteht und um jeden Preis zwischen den streitenden Parteien vermitteln möchte.
All diese Leute erzählen einen Teil ihrer Geschichte. Anna Ditges ist niemals denunziatorisch, begegnet ihren Figuren stets auf Augenhöhe, ohne sich dabei – was ja sehr einfach wäre – klar auf eine Seite zu schlagen. Das ist ein redlicher Ansatz, die Nüchternheit kann allerdings auch umkippen – in Langeweile. Die bloße Beschreibung der Funktionsweisen direkter Demokratie verläuft dröge und ohne dramaturgischen Kniff.
Ganz anders der Film „Wer rettet wen?“, von Leslie Franke und Herdolor Lorenz, der nach dem Interventionsprinzip arbeitet, eine dezidiert linke Haltung einnimmt und sich als Werkzeug versteht, das die dunklen Machenschaften der Finanzindustrie ans Licht bringen soll. Schon das Prozedere der Produktion ist einschlägig: „‚Wer rettet wen?‘ entsteht als ‚Film von unten‘ – finanziert von denen, die ihn sehen wollen, die ihn zeigen wollen, die dieses Hilfsmittel als Aufklärung brauchen.“
Der Film beschreibt, wie sich die sogenannte Finanzkrise für die großen Banken zum Geschäftsmodell nobilitiert hat, erklärt mit Nachdruck die Mechanismen des kapitalistischen Systems – wie sich die Rettung der Staaten als Rettung der Banken ausnimmt, wobei die Bedürftigen in den Krisenländern nicht einen Cent erhalten, vielmehr in die Abwärtsspirale und also immer tiefer ins Elend geraten.
Um die desaströsen Folgen der Austeritätspolitik zu vermitteln, setzt der Film zuweilen auf grelle Ästhetik und scheut nicht den Einsatz polemischer Techniken in Ton und Bild. So werden zum Beispiel die Vertreter der aus IWF, EZB und EU-Kommission bestehenden Troika, die in Griechenland die verordnete Sparpolitik überwachen soll(t)en, durch entsprechende Musikuntermalung als Abkömmlinge einer quasi dämonischen Halbwelt gezeichnet.
Das mag man geschmäcklerisch und billig finden. Man kann aber auch der Meinung sein, dass ein enervierendes Thema eine wütende Handhabung verlangt, dass die „derbe Sprache“ ein zur Handlung kongenialer Ausdruck ist.
„Wer rettet wen?“ ist ein Programmfilm, der die direkte Aktion empfiehlt. Wir sollen uns empören. Und in der Tat, wer hier nicht aus seinem neoliberalen Schlummer erwacht, ist endgültig verloren. Der Film dürfte in der Lage sein, noch den saturiertesten Mitteleuropäer wenigstens momenthaft vom Sofa auf die Barrikaden zu treiben.
Für den Zuschauer ist das jedenfalls deutlich spannender als im Falle von „Wem gehört die Stadt?“. Dieser ist eigentlich immer auf der sicheren Seite. „Wer rettet wen?“ hingegen riskiert mit dem Anspruch auf Politisierung eine Menge und gewinnt dafür am Ende umso mehr.