Der Tagesspiegel, 06.07.2021
Wenn Natascha Strobl aus der Straßenbahn steigt, prüft sie genau die Umgebung. Wer vor ihr und auch wer hinter ihr läuft, Kopfhörer in den Ohren kommen nicht in Frage, die Wienerin ist draußen stets hochkonzentriert. Seit die Politikwissenschaftlerin zur Neuen Rechten forscht, hat sie die Habachtstellung internalisiert. Pfefferspray gehört zu ihrer Grundausstattung, Security bei Auftritten ebenfalls. Strobl hat vor einigen Jahren gemeinsam mit anderen Forscher:innen ein Standardwerk zur Identitären Bewegung und den transnationalen Netzwerken der Nationalisten verfasst. „Bald nach Erscheinen des Buches wurde mit einem Luftdruckgewehr in ein Fenster meiner Wohnung geschossen“, erzählt Natascha Strobl am Telefon. Das Projektil sei gefunden worden, den Schützen aber habe man leider nicht ermittelt.
Aktuell wird in einer medialen Dauerschleife diskutiert, ob sich Meinungskorridore im deutschsprachigen Raum zunehmend verengen oder nicht. Nach der neuesten Allensbach-Umfrage im Auftrag der „FAZ“ haben 44 Prozent der Deutschen das Gefühl, sie könnten ihre Gedanken nicht mehr frei äußern. Eine identitätspolitisch orientierte „Lifestyle-Linke“ – so der Tenor der konservativen Kritiker – habe zum Schaden der Meinungsfreiheit die kulturelle Hegemonie erstritten. Wer sich vom links-grünen Mainstream distanziere, müsse mit harten Sanktionen rechnen und werde aus zentralen Diskursräumen verbannt, beklagt etwa das von konservativen Akademiker:innen gegründete sogenannte „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“.
Spricht man mit kritischen Wissenschaftlerinnen in Deutschland und Österreich drängt sich indessen der Eindruck auf, die wirklichen Gefahren für Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit kämen aus einer anderen Richtung. Bedrohlich sind demnach weniger das „woke“ Milieu und eine vermeintliche „Cancel Culture“ von Links, als die massive Hetze von rechtsextremen Gruppen und verschwörungsideologischen Querfront-Aktivisten. Denn wer deren interne Strukturen beforscht, oder bloß deutlich Stellung bezieht, muss mit Schlimmerem als einem Shitstorm rechnen.
Pia Lamberty hat den Überblick verloren, wie oft ihr im letzten Jahr gedroht wurde...