Der Tagesspiegel, 13.07.2021
Die Hälfte der Deutschen würde Sinti und Roma gerne von den Innenstädten fernhalten. 60 Prozent attestieren ihnen einen Hang zur Kriminalität. Beinahe genauso viele Bundesbürger: innen möchten sie ungern in der Nachbarschaft haben. Diese Zahlen der Leipziger Autoritarismus-Studie von 2018 haben sich bis heute kaum verändert – je nach Studie sind zwischen 26 und 55 Prozent der deutschen Bevölkerung von antiziganistischen Ressentiments durchdrungen. In vielen Erhebungen sind Sinti und Roma die am schlechtesten beleumundete Minderheit. Dass das Problem des spezifischen Rassismus gegen Angehörige dieser Communitys in weiten Teilen der Öffentlichkeit kaum je Gehör findet, gründet wohl in eben dieser Ablehnung.
Demnach braucht es einen „grundlegenden Perspektivwechsel“, eine „nachholende Gerechtigkeit“ und „langfristige Teilhabekonzepte“, um dem für die meisten Mehrheitsdeutschen unsichtbaren, für Sinti und Roma jedoch täglich erfahrbaren Antiziganismus entgegenzuwirken. Dies konstatierte vor wenigen Tagen die vom Bundestag eingesetzte „Unabhängige Kommission Antiziganismus“ in einem durch 15 empirische Studien abgestützten Expertenbericht.
Etwa zeitgleich erscheint der Forschungsband „Sinti und Roma. Der Nationalsozialistische Völkermord in historischer und gesellschaftspolitischer Perspektive“, der die Kontinuitäten des Antiziganismus vom Nationalsozialismus bis in die Gegenwart beleuchtet. „Für Sinti und Roma hat es im Grunde nie eine Befreiung gegeben“, sagt die Heidelberger Historikerin Karola Fings, Kommissionsmitglied und Mitherausgeberin des Buches...