Philosophie Magazin , 20.09.2023
Das Bundeskabinett hat kürzlich die teilweise Legalisierung von Cannabis beschlossen. Gleichzeitig werden verschiedene Rauschmittel weltweit immer häufiger in psychotherapeutischen Behandlungen eingesetzt, seit Juli 2023 erlaubt Australien als erstes Land die Verschreibung von Psilocybin und MDMA, und so deren Verwendung auch jenseits von Studien. Erleben wir im Hinblick auf Drogen gerade eine Art diskursiven Wandel?
Ich wäre vorsichtig damit, vorschnell einen drogistischen Turn auszurufen. Nicht selten gibt es kurze Konjunkturen, die dann bald schon wieder abebben. Aber es stimmt schon, dass die drogenideologische Front allmählich an verschiedenen Stellen bröckelt. Die Wissenschaft belegt inzwischen den therapeutischen Nutzen psychoaktiver Substanzen unter kontrollierten Bedingungen. Teile der Politik wiederum scheinen langsam zu verstehen, dass Verbote nicht unbedingt der beste Hebel sind, um von Drogen verursachte Probleme in den Griff zu kriegen.
Ist die Drogenprohibition historisch gesehen ein junges Phänomen?
Ja, sehr jung. Es gibt in der Geschichte zwar vereinzelte Episoden, in denen Drogen zum Gegenstand staatlicher Repression werden. Zum Beispiel Anfang des 17. Jahrhunderts: Dem osmanischen Sultan Murad IV. war es unerträglich, dass die Tabak- und Kaffeehäuser Zentren öffentlicher Diskussion und mithin Orte der Kritik und Opposition geworden waren. Daher ließ er 1633 alle Tabakhäuser niederreißen und belegte das Tabakrauchen mit der Todesstrafe. Im Großen und Ganzen aber ist die Prohibition ein modernes Phänomen. Bis ins 19. Jahrhundert hinein sind Drogen in allen möglichen Formen für staatliche Akteure kein relevantes Thema. Ändern sich die Applikationsformen, so dass der moderne Staat reagieren muss? Einiges weist allerdings darauf hin, dass Drogen als Mittel ideologischer Stimmungsmache gegen unliebsame Minderheiten entdeckt werden.
Stellt die Drogen-Prohibition mit Michel Foucault gedacht eine spezifisch moderne Machttechnik dar, als Instrument einer positiven Bevölkerungspolitik moderner Staatsapparate?
Das war zunächst mein gedanklicher Ansatz. Es gibt allerdings eine Zeitunterscheidung. Während die von Foucault diagnostizierte Biopolitik – eine Politik, die leben macht und sterben lässt, anstatt sterben zu machen und leben zu lassen – schon im 18. Jahrhundert beginnt, setzt die Prohibitionspolitik in westlichen Ländern erst im 19. Jahrhundert ein. Die Zeitverzögerung lässt sich womöglich damit erklären, dass die Verbreitung von Drogen auch in modernen Staatswesen lange nicht als Problem wahrgenommen wurde.
Die ökonomistische Perspektive des Staates, dass zu viel Drogenkonsum womöglich die Produktion gesellschaftlicher Leistungsträger bremsen könnte, spielt in dieser Zeit überhaupt keine Rolle?
Zunächst nicht. Das liegt daran, dass Drogen weniger als etwas betrachtet werden, das Kontrollverluste bedingt, sondern als etwas, das Kontrollgewinne verspricht, etwa als Mittel um Schmerz zu kontrollieren. Die Staatsmacht greift zunächst auch deshalb nicht ein, weil die Frage, was gesund und was ungesund ist, im Drogendiskurs noch nicht festgelegt ist.
Wann und warum wurden Drogen gesellschaftlich geächtet und zum Gegenstand des Rechts erkoren?
Im viktorianischen England zum Beispiel ist Opiumkonsum allgegenwärtig. Man weiß darum, dass Opium abhängig macht, das wird aber nicht als Problem wahrgenommen. Die allmähliche Ächtung von Rauschmitteln verschiedenen Typs beginnt mit einem hochschießenden Suchtdiskurs in Sachen Alkohol. Vor allem in der Arbeiterklasse wird viel getrunken, um den Horror des Arbeitsalltags zu kompensieren. Das ist physiologisch, gesundheitlich und mithin auch ökonomisch problematisch. Die Problematisierung weitet sich dann auf andere Stoffe aus.
Inwiefern?
Sehr gut nachvollziehen lässt sich dieser Vorgang an der US-Geschichte, wobei man generell sagen kann, dass die USA immer eine Vorreiterrolle in der Drogenprohibition einnehmen. Von 1923 bis 1933 erleben wir die Alkoholprohibition, die krachend scheitert. Das Projekt hinterlässt aber eine riesige Institution, eine nun arbeitslose Behörde, die sich ein neues Aufgabenfeld suchen muss. In einer Allianz mit reaktionären Evangelikalen fängt man an bestimmte Bevölkerungsgruppen mit bestimmten Drogen zu assoziieren, Chinesen mit Opium, Mexikaner mit Marihuana. Historisch lässt sich eine deutliche Überlagerung von Diskriminierungspraktiken und Drogen-Ideologisierung beobachten. Die Drogenpolitik wird als Unterdrückungsinstrument missliebiger Personengruppen verwendet.
Übernehmen die Regierungen in Europa dieses Dispositiv von den US-Amerikanern?
Das lässt sich historisch nicht eindeutig sagen. Es wirkt so, als gäbe es einen Nachahmungseffekt. Der diskursive Wandel erweist sich für bestimmte staatliche Akteure als sehr nützlich also wird er aufgegriffen und geschürt. Um einen Bogen in die Gegenwart zu schlagen: Wenn man sich anschaut wie sich Rainer Wendt, der Bundesvorsitzende der deutschen Polizeigewerkschaft mit völlig irrationalen Argumenten gegen die Legalisierung von Cannabis wehrt, wird klar, dass man fürchtet, der Polizei werde ein Tool zur Überwachung und Gängelung verlorengehen. Ohne Prohibition hat man weniger Möglichkeiten zu eigentlich anlasslosen Kontrollen. Über eine repressive Drogen-Politik hat man immer auch einen starken Hebel zur Kontrolle der öffentlichen Ordnung.
Paradigmatisch für diese Machtmechanik steht der 1972 von Richard Nixon ausgerufene „War on Drugs“. Würden Sie sagen, dieser war vor allem eine moralisch bemäntelte Rassistenkampagne?
Ja. Man führte Krieg gegen Menschen, nicht gegen Drogen. Für die Nixon-Administration gab es zwei große Feinde: Die Schwarzen und die Anti-Kriegs-Linke. Man assoziierte diese Gruppen pauschal mit Drogen und versuchte sie dadurch zu kontrollieren und kleinzuhalten. Auch in Deutschland wird die Antikriegslinke mittel der Ideologisierung von Drogen diffamiert. Aber aus demografischen Gründen sind die Zuordnungen zwischen bestimmten Bevölkerungsgruppen und bestimmten Drogen zu jener Zeit andere als in den USA.
Die Nazis haben Heroin als „jüdische Droge“ gelabelt. Wann werden Drogen in Deutschland erstmals ideologisiert?
Die moderne Drogenpolitik nimmt in den 1920er-Jahren Fahrt auf. Das Drogenverbot ist zunächst ein Diktat aus Versailles. In den Versailler Vertrag wurde das Den Haager Opiumabkommen von 1912 aufgenommen, das mit einigen anderen Abkommen die Weichen für die bis heute international verfolgte restriktive Betäubungsmittelpolitik stellt. Das finden Konzerne wie Bayer übrigens erstmal gar nicht witzig, weil die mit der Produktion und dem Export von Heroin und auch der Kokainproduktion viel Geld verdienen.
Nach dem Krieg gibt es viele kriegsversehrte Morphium-Patienten. Die seinerzeit von den Boulevardmedien beobachtete Heroinwelle hat es aber de facto nicht gegeben. Ja, es gibt einen gewissen Anstieg von Heroin-Konsumenten in Berlin, vor allem in der Künstler- und Clubszene. Aber dieser Anstieg fällt gesamtgesellschaftlich nicht ins Gewicht. Boulevardpresse und Parlament jazzen das Thema gleichsam zirkelschlüssig hoch. Die vermeintliche Drogenwelle ist ein medialer Hype. Wie auch immer, es beginnt ein Reden über Drogen, in antisemitischen Kreisen gilt Heroin bald als jüdische und schwach machende Droge. Unter den Nazis wird dann übrigens im großen Stil das Methamphetamin Pervitin produziert. Nicht nur die Wehrmacht, sondern auch große Teile der deutschen Bevölkerung sind ab den späten 1930er-Jahren dauernd auf Crystal Meth. Das gilt aber als stark machendes Medikament und nicht als Droge, die in die Verelendung führt. Das Framing ist ein völlig anderes.
Die Sozialfigur des Junkies, des Süchtigen, ist nicht die einzige Konzeption des Drogenkonsumenten in der Geschichte. Sie scheint aber die heute dominante zu sein. Im zeitgenössischen Drogendiskurs bildet das Suchtnarrativ den zentralen Erzählstrang.
Das ist richtig. Historisch gesehen gibt es einen bunten Strauß von Konsumpraktiken, die...