tip, 2.10.2013
Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis sich der Meister des surrealen Bildzaubers Michel Gondry einer jener Quellen annehmen würde, die stilbildend auf ihn gewirkt haben dürften: des Romans „Der Schaum der Tage“ („L’écume des jours“ im Original) des französischen Schriftstellers und Chansonniers Boris Vian aus dem Jahr 1947. Die Liebesgeschichte des wohlhabenden Nichtstuers Colin und der an einer Seerose erkrankenden Chloé ist eines der eindrucksvollsten Werke französischer Nachkriegsliteratur und der vielleicht schönste surrealistische Prosa-Text überhaupt. Ein bisschen Vian war implizit wohl oft bei Gondry vorhanden, ob in seinen Spielfilmen von „Vergiss mein Nicht!“ über „Science of Sleep“ bis „Abgedreht“ oder seiner Video-Arbeit mit Björk. Wenn jemand eine kongeniale Bildsprache zu den Impressionen dieses irren Buches über eine Welt Cocktails mixender Pianos, schrumpfender Behausungen und in Wasserleitungen lebender Aale entwickeln kann, dann Michel Gondry, sollte man meinen. Man ahnt bereits das Aber.
Nun ist das Gemecker über die inadäquate filmische Umsetzung von Herzensbüchern eine alte Leier. Dies ist nicht selten der Tatsache geschuldet, dass der Betrachter durch die fremde Visualisierung – so kunstvoll sie auch sein mag – seine eigene Vorstellung korrumpiert sieht. Aber die Überblendung der eigenen Fantasie ist nicht das Problem, das dieser Film bereitet; den Bilderreigen beherrscht Gondry perfekt, und er kann ja eigentlich auch gute Geschichten erzählen. Der käufliche ewige Sonnenschein eines unbefleckten Gedächtnisses („Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ ist der Originaltitel von „Vergiss mein nicht!“) war eine geniale Idee; die Rettung der analogen Videothek durch selbst gedrehte Neuauflagen in „Be Kind Rewind“ trieb dem Zuschauer Tränen der Rührung in die Augen.
Gondrys Version von „Der Schaum der Tage“ lässt einen aber trotz oder gerade aufgrund des enormen Detailreichtums und der versierten technischen Umsetzung merkwürdig kalt. Der Film wirkt überfrachtet und verläuft sich in seinem eigenen Zauber. Die im Buch erzählte Geschichte hatte abseits der Cocktail-Piano-Komik auch etwas zutiefst Tragisches und zudem durch Motive wie Einsamkeit und Entfremdung eine existenzialistische und politische Komponente. Zwar hält sich der Film an die Handlung des Buches, und auch die Sartre-Karikatur Jean Sol Partre, dem am Ende das Herz aus dem Körper gerissen wird, taucht auf. Der gondrysche Reigen dreht sich aber beinahe wie automatisch, sodass die eigentliche Geschichte zur Nebensache verkommt. Man ahnt, dass der Regisseur so verliebt ist in den surrealen Schaum, dass er das Narrative aus den Augen verliert. Das ist mitunter sehr schön anzusehen, aber auch ermüdend auf die Dauer. So scheitert Michel Gondry an Boris Vian auf letztlich doch nur grenzgeniale Weise.