Der Tagesspiegel, 28.01.2022
Beschneidet uns die Covid-Präventionspolitik von der Masken- bis zur Impfpflicht in unserer Freiheit – oder macht sie diese überhaupt erst möglich? Um die Frage ist auch deshalb ein Kulturkampf entbrannt, weil „Freiheit“ selbst ein umkämpftes Konzept ist, ein schillernder Begriff, den verschiedene Akteure mit widersprüchlichen Vorzeichen versehen. Unbestritten ist Freiheit ein Wert, den alle meinen, befördern zu wollen. Was man aber jeweils darunter versteht, wird selten artikuliert.
Der Gesundheitsschutz sei ein hohes Gut, das höchste Gut aber bleibe die Freiheit, erklärte Finanzminister und FDP-Chef Christian Linder jüngst in klassisch liberaler Rhetorik und stellte beide so als Gegensätze dar. Doch auch jene, die den Seuchenschutz als Schlüsselaufgabe eines fürsorgenden Sozialstaates erachten, meinen eben gerade mittels der Maßnahmen Freiheitsräume langfristig ausweiten zu wollen. Selbst die rechtsextreme Szene pocht auf „die Freiheit“ – und meint damit die Freiheit des sogenannten Volkes von den Weisungen „falscher Funktionseliten“.
Der völkisch pervertierte Freiheitsbegriff allerdings ist für Demokrat*innen unmittelbar als Antithese all dessen zu erkennen, was berechtigterweise als Freiheit gelten kann. Wie aber sieht es mit den seriösen Freiheitsverständnissen aus, die nicht nur in der Covid-Kontroverse kollidieren, sondern auch in den Debatten über Klimaschutzmaßnahmen oder die sich spreizende Einkommensschere? Welche historisch gewachsenen Vorstellungen von Freiheit treffen hier aufeinander? Und lässt sich klären, welches Freiheitsverständnis der Demokratie und ihren Herausforderungen am meisten entgegenkommt?...