tip, 19.2.2014
Mr. Lethem, wir treffen uns am Wannsee. Was führt Sie nach Berlin?
Ich bin für ein Semester Fellow an der American Academy. Eine Zeit lang in Europa zu leben, ist mir seit Langem ein Bedürfnis. Zudem gibt es auch gute Gründe für Deutschland und Berlin im Besonderen. Teile meiner Familie kommen von hier. Mein Verhältnis zu Deutschland ist ein wenig vorbelastet. Es lag mir aber daran, diesen problematischen Teil meines Erbes in die Gegenwart zu integrieren. Die Auseinandersetzung damit ist auch in mein neues Buch „Dissident Gardens“ eingegangen.
In dem Buch geht es unter anderem um den deutschen Juden Albert Zimmer, der vor den Nazis aus Lübeck in die Staaten flieht. Ist diese Figur von dem Bild inspiriert, das Sie sich von Ihrem eigenen Großvater gemacht haben?
Ja, das trifft es. Albert Zimmer ist kein Abbild meines Großvaters. Da dieser wie jener nach dem Krieg als Kommunist zurück nach Deutschland ging, habe ich ihn nie richtig kennengelernt. Deswegen ist die Figur nicht der Realität entlehnt, sondern basiert auf einer Art Gefäß, das ich mit meiner eigenen Vorstellung gefüllt habe. Ich bin also nicht nur physisch hier, auch konzeptuell bin ich aus Amerika ausgebrochen. Meine Arbeit ist eigentlich tief verwurzelt in der amerikanischen Kultur. Mit „Dissident Gardens“ habe ich nun eine Brücke nach Europa geschlagen.
Sie spielen ja souverän auf der popkulturellen New-York-Klaviatur. Könnten Sie sich vorstellen, eine Geschichte in Berlin anzusiedeln, wo Sie mit den kulturellen Zeichen nicht so vertraut sind?
In New York aufgewachsen zu sein, ist eine wunderschöne Katastrophe. Ich trage New York wie einen virtuellen Realitäts-Helm, das heißt: Ich schreibe über New York, auch wenn ich es zu vermeiden suche. Berlin und New York sind sich aber in gewisser Weise ähnlich. In beiden Städten überwölbt ein mythischer Schatten die Realität. Über das faktische Berlin könnte ich nicht schreiben, aber ich verbinde ja stets die Wirklichkeit mit meinen eigenen Projektionen. Insofern bin ich mir sicher, dass Berlin in meiner nächsten Arbeit präsent sein wird.
In einem früheren Buch, „Die Festung der Einsamkeit“, geht es um einen weißen -Jungen, der im überwiegend schwarzen Teil von Brooklyn aufwächst. Trägt die Geschichte autobiografische Züge?
Ja, sie ist gebaut auf den Fundamenten meines Lebens. Aber der Charakter im Buch kann seiner Erfahrung keinen Rahmen geben. Anders als ich hätte er das Buch, das von ihm handelt, nicht schreiben können. Außerdem gibt es wie in „Chronic City“ diverse fantastische Elemente.
In „Dissident Gardens“ fehlen ja diese fantastischen Motive wie der Chronic-City-Tiger, die zuweilen Vergleiche Ihrer Arbeit mit David Foster Wallace und Philip K. Dick provozieren. Ist das Thema der Revolution, das „Dissident Gardens“ behandelt, zu ernst für surreale Verzerrung?
Das würde ich nicht sagen. In „Dissident Gardens“ ist die Revolution selbst das fantastische Element. Die Utopie, die Welt zu verändern, ist fantastisch genug, da bedurfte es keiner marodierenden Tiger in den Eingeweiden der Metropole. Was mich vornehmlich interessiert, sind aber nicht die politischen Bewegungen, sondern das Leben der Menschen. Ich habe die Revolution in die Körper verpflanzt. Ich frage mich, wie sich die soziale und sexuelle Existenz dieser Menschen durch ihr Bedürfnis nach globaler Veränderung ihrerseits verändert. Was mich zudem gereizt hat, war, wie der pure, gläubige Kommunismus mit dem amerikanischen Mythos von Freiheit und Individualität kollidiert. Der Kommunist, der in der Einsamkeit endet, ist ein sehr amerikanisches Motiv.