tip, 7.11.2013
November 1938. Der jüdisch-polnische Schriftsteller und Zeichner Bruno Schulz – Autor des Erzählbandes „Die Zimtläden“ – sitzt am Vorabend der Katastrophe im Keller des Hauses seiner Schwester im galizischen Drohobycz und schreibt einen Brief an den weit entfernten Kollegen Thomas Mann. Mit der Geschichte über einen Mann-Doppelgänger, der sich im Ort mit den Federn des Meisters schmückt, bemüht er sich um dessen Aufmerksamkeit. Denn mit seiner ersten auf Deutsch verfassten Erzählung „Die Heimkehr“ sucht Schulz durch Manns Fürsprache den internationalen Durchbruch zu erwirken.
In seiner schmalen Novelle „Im Kopf von Bruno Schulz“ überblendet Maxim Biller die historische Wirklichkeit mit seiner eigenen düster-ironischen Interpretation einer kurzen Episode im Leben des literarischen Visionärs Bruno Schulz. In dem Brief, den dieser in Billers Text schreibt, fiebert sich der Autor in das drohende Unheil hinein, der falsche Thomas Mann brutalisiert sich zusehends und wird schließlich zum Schergen der Gestapo. Aber auch jenseits des Briefpapiers schiebt sich ein kafkaeskes Unbehagen in die Wirklichkeit. Bedrängt von Psychose und Depression, im Zwiegespräch mit der eigenen Angst, antizipiert der Billersche Schulz den Naziterror, dem die galizischen Juden nach dem Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion zum Opfer fielen.
Auch der historische Bruno Schulz, so sind sich viele Interpreten einig, hat in seiner zuweilen fantastisch-dunklen Prosa die Shoah implizit vorhergesehen. Er selbst wurde 1942 am Schwarzen Donnerstag auf offener Straße von einem Gestapo-Mann erschossen. Maxim Biller hält sich nur kurz im Kopf des Autors auf, er zieht sich zurück, lange bevor die Kugel einschlägt. Im Fieberbrief des von seinen Dämonen gepeinigten Schriftstellers ist die Katastrophe jedoch vorweggenommen, sodass Biller ihr späteres Eintreten nicht mehr abhandeln muss. Der spezielle Sog, den der Text entfaltet, bedingt dennoch, dass der Leser es beinahe schade findet, den Kopf von Bruno Schulz so bald wieder verlassen zu müssen.