Der Tagesspiegel, 3.7.2020
Struktureller Rassismus in der Schule? Die Abwehr dieses Vorwurfs dürfte in etwa so vehement sein, wie bei den Sicherheitskräften in Deutschland. Doch die diskursanalytische Studie der Bildungsforscherin Ellen Kollender über die Situation von „als migrantisch positionierten Eltern“ legt genau solche rassistischen Logiken nahe.
Die Kulturwissenschaftlerin an der Hamburger Bundeswehruniversität hat für ihre Untersuchung an Kreuzberger und Neuköllner Schulen eine Fülle bildungspolitischer Dokumente der Jahre 2000 bis 2017 ausgewertet und Interviews mit vielen Lehrerinnen und Lehrern sowie mit zahlreichen Eltern geführt.
Ihre Kernthese ist, dass im Zuge des Erstarkens von Werten wie „Eigenverantwortung“ und „Leistungsbereitschaft“ durch neoliberale politische Reformen neue Arten der Auslese aufkamen. Diese gerierten sich als frei von Rassismus, hätten diesen aber lediglich verschleiert.
Das am Ideal vermeintlich farbenblinder Leistungsgerechtigkeit ausgerichtete Selektionskriterium, das gute Eltern von schlechten Eltern trennt, könne seinen diskriminierenden Charakter jedoch nur schlecht verbergen, so Kollender.
Dem neoliberalen Paradigma gemäß würden Eltern für die Bildungsbiographie ihrer Kinder heute immer stärker verantwortlich gemacht. Indem die Eltern mehr in das Schulsystem einbezogen und die Elternrechte stetig erweitert werden, sei auch die „Pflicht“ der Eltern gewachsen, für den Schulerfolg ihrer Kinder Sorge zu tragen.
Dies habe das Schulsystem allerdings nur vordergründig demokratischer gemacht, meint Kollender. So zeigten einige Studien, dass die Erweiterung von Elternrechten und Partizipationsmöglichkeiten mitunter dazu führt, dass sich die ohnehin privilegierten Teile der Elternschaft auf Kosten der randständigen Gruppen von Eltern zusätzliche Vorteile verschaffen.