Der Tagesspiegel, 28.10.2020
Herr Benz, Ihr neues Werk „Vom Vorurteil zur Gewalt“ bildet die Essenz Ihrer jahrzehntelangen Beschäftigung mit Ressentiments und Feindbildern. Welche zentralen Ergebnisse der Ressentimentforschung führt das Buch zusammen?
Das wichtigste aber auch am schwersten zu vermittelnde Ergebnis scheint mir zu sein, dass es eben nicht die Opfer von Ressentiments sind, die diese hervorrufen. Nicht die Juden sind schuld daran, dass man sie nicht mag, nicht die als „Zigeuner“ titulierten Personen sind diebisch und habituell kriminell, nicht die Muslime sind integrationsunwillig. Es ist vielmehr die Mehrheitsgesellschaft, die beliebigen Minderheiten Eigenschaften zuschreibt, wegen derer sie anschließend missachtet werden. Das ist die entscheidende Erkenntnis meines Forschens: Der Ausgegrenzte trägt an seiner Ausgrenzung keine Schuld. Es ist die Mehrheitsgesellschaft, die die Ausgegrenzten als solche nötig hat.
Was ist denn die sozialpsychologische Funktion von Ressentiments und Feindbildern?
Das Ressentiment, das sich zum Feindbild steigert, stärkt das eigene Selbstbewusstsein. Das Böse wird auf eine vermeintlich feindliche Minderheit delegiert. Damit bestätigt man sich selbst, auf der richtigen Seite zu stehen.
Richten Vorurteile und Ressentiments gegenüber Personengruppen nicht immer schon – zumindest symbolische – Gewalt an?
Ja, Gewalt beginnt nicht beim Pogrom. Soziale Ausgrenzung etwa stellt definitiv einen Akt der Gewaltausübung dar. Wenn Juden im christlichen Mittelalter von bestimmten Berufen und vom Landerwerb ausgeschlossen sind, nicht in Zünfte und Innungen dürfen, wenn sie an den Rändern der Städte ghettoisiert werden, wird ihnen bereits massive Gewalt zugefügt.
Welche historischen, sozialen und politischen Situationen führen in der Regel dazu, dass Vorurteile und Ressentiments in physische (Massen-)Gewalt umschlagen?...